LVZ-17.05.2018
Was nun, Herr Kühne?
Der Vorstandsvorsitzende der BSG Chemie über Abstieg, Wiederaufstieg und sein Wunschlos im Pokal
Seine Stimmung ist zweigeteilt – Chemie-Vorstand Frank Kühne ärgert sich noch immer über den Abstieg, freut sich aber zugleich aufs Pokalfinale. Foto: Picture Point
Leipzig. Frust und Hoffnung bei der BSG Chemie Leipzig: Als Drittletzter der beendeten Saison werden die Leutzscher aus der Regionalliga Nordost absteigen, können aber den Landespokal gewinnen. Wie geht es weiter im Alfred-Kunze-Sportpark in Leutzsch? Chemies Vorstandsvorsitzender Frank Kühne, 58, spricht über die Konsequenzen des möglichen Abstiegs, das Ziel sofortiger Wiederaufstieg und sein Wunschlos im DFB-Pokal.
Herr Kühne, was überwiegt bei Ihnen aktuell: Die Enttäuschung über den wahrscheinlichen Abstieg oder die Vorfreude auf das Pokalfinale mit der Hoffnung auf ein versöhnliches Saisonende?
Meine Stimmung ist zweigeteilt. Klar haben wir alle gehofft, dass wir die Klasse halten. Durch das Pokalfinale wird jetzt natürlich alles ein bisschen ins Positive gelenkt. Ich denke, die Mannschaft wird sich da selbst noch einmal beschenken wollen. In der Liga hat es am Ende nicht gereicht, was schade ist. Aber vielleicht gibt es ja noch das kleine Happy End, weil die Sache mit dem Abstieg noch nicht endgültig geklärt ist.
Wenn es zum Abstieg kommt: Was hat sich der Verein vorzuwerfen?
Ich wüsste nicht, was wir uns vorzuwerfen haben. Man muss ehrlich sagen: So wie wir in den letzten drei, vier Jahren gewachsen sind, ist es fast zu schnell gegangen. Unser Ziel war immer, den Verein nachhaltig zu entwickeln, strukturell, sportlich und vor allem finanziell stabil. Nach der Vorgeschichte mit dem FC Sachsen standen wir vor einem riesigen Scherbenhaufen. Da mussten wir erst einmal das Vertrauen der Sponsoren und auch das der Fans wiedergewinnen. Dazu mussten wir auch ordentliche Leistungen abliefern. Ich denke, das haben wir in den letzten Jahren gemacht. Das wird von den Fans und den Sponsoren auch honoriert. Aber alle haben auch ein bisschen Angst, dass wir in gewisse Mechanismen hineinkommen.
Welche Mechanismen?
Dass wir Sachen entscheiden, die vielleicht aus sportlicher Sicht gut wären, strukturell und finanziell aber nicht gut.
Wie meinen Sie das?
Das sieht man konkret in der dritten Liga. Dort haben zwölf Mannschaften diese Saison mit einem Minus von einer knappen Million Euro und mehr abgeschlossen. Jeder versucht dann mit irgendwelchen Maßnahmen, den Schritt in die Insolvenz zu vermeiden. Aber diesen Vereinen gibt der Verband dann eine Breitseite, indem man sagt, ihr könnt euch auf Kosten der Viert- und Fünftligisten sanieren. Also egal wie viele Schulden ihr habt, es werden neun Punkte abgezogen und danach seid ihr gewaschen und gekämmt. Man kann auch sagen: Die Profi-Ligen sanieren sich auf Kosten der unteren Ligen. Wenn das der Weg ist, dann sehe ich schwarz für die Ligen unterhalb des Profifußballs.
Es ist eine verbreitete Meinung, dass Chemie zu schnell aufgestiegen ist. Hat der Verein trotzdem profitieren können?
Selbstverständlich. Wir gehen auch richtig gestärkt raus aus dieser Saison. Wir haben jede Menge Erfahrungen gesammelt. Wir hatten doch gar nicht so richtig gewusst, was alles auf uns zukommt. Deswegen war die Regionalliga für uns ein kleines Abenteuer, bei dem wir nicht wussten, wohin die Reise geht.
Das war aber schon nach wenigen Spieltagen klar...
Stimmt, aber man muss auch genauso klar sagen, dass wir alles bekommen haben, was eine Mannschaft nicht braucht. Wir sind am allerletzten Spieltag aufgestiegen, deswegen konnten wir kaum planen. Wir hatten eine extrem kurze Vorbereitungszeit. Und dann sind am Anfang gleich drei wichtige Stammspieler ausgefallen. Mit Felix Paul hat einer den Verein verlassen, Alexander Bury und Tim Bunge haben sich schwer verletzt. Alles Spieler, die eigentlich gesetzt waren. Das kann man nicht kompensieren. Das Lehrgeld haben wir bezahlt.
Also hat in der Hinrunde einfach ein Stück Qualität gefehlt?
Ja, und das haben wir gesehen. Deswegen haben wir uns in der Winterpause trotz der ökonomischen Zwänge verstärkt, weil wir das Unmögliche noch möglich machen wollten. Wenn man überlegt, dass in den letzten fünf Jahren niemand mit 34 Punkten abgestiegen ist, dann ist das noch mal bitterer.
Wie sind die Reaktionen bei den Sponsoren zum Thema Abstieg?
Uns haben die meisten Mut zugesprochen und schon lange gesagt: Egal, was passiert, wir machen trotzdem weiter. Verfolgt den Weg weiter so, wir unterstützen das, auch wenn es Rückschläge gibt. Ein Abstieg ist ja weniger für den Verein ein Rückschlag, es ist mehr für die Fußballer ein Rückschlag.
Trotz des Abstiegs haben Sie mit dem Trainerteam verlängert. Warum?
Wir haben bewusst ein Zeichen setzen wollen. An den Trainern liegt es nicht, dass wir absteigen. Dietmar Demuth ist ein erfahrener Trainer, dem wir mit dem Co-Trainer Christian Sobottka im Winter einen jungen Mann an die Seite ge-
stellt haben. Da haben wir uns qualitativ verbessert, das hat auch Früchte getragen.
Worauf beruht denn der Funken Hoffnung auf den Klassenerhalt, den Sie noch haben?
Es gibt noch eine Menge Fragezeichen. Man weiß nicht, wer noch aus der Regionalliga zurückzieht. Wer meldet noch Insolvenz an? Meldet in der 3. Liga noch jemand Insolvenz an? Steigt Cottbus auf? Dann die Frage: Bleibt es in Erfurt und Chemnitz bei einer geplanten Insolvenz oder nicht? So viele Komponenten spielen da noch eine Rolle. Das kann sich noch ein paar Wochen hinziehen.
Was die Planungen für die neue Saison nicht leichter macht ...
Das sind wir ja gewöhnt. Und trotzdem gehen wir aus solchen Geschichten immer wieder gestärkt heraus.
Wie das?
Ja, das ist eigenartig. Als wir aus der Landesliga in die Bezirksliga abgestiegen waren, hatten wir zu Saisonbeginn einen immensen Zulauf an Mitgliedern und Sponsoren. Das konnte mir keiner erklären. In der Regionalliga und der dritten Liga sind die Zuschauerzahlen insgesamt rückläufig. Aber bei uns geht’s bergauf. Anderswo sind die Stadien nicht mal zu 50 Prozent ausgelastet. Und trotzdem werden überall neue Stadien gebaut. Das ist doch ein Minusgeschäft. Auch die Unterhaltung der Stadien ist ein Minusgeschäft.
Wie ist die Situation im Alfred-Kunze-Sportpark?
Die Erbbaupacht mit der Stadt ist unterschrieben. Wir sind für das Stadion verantwortlich.
Werden die geplanten Projekte im Sportpark trotz des Abstiegs fortgeführt?
Natürlich. Wir wollen ja nicht nur sportlich vorankommen, sondern auch infrastrukturell. Das ist die Voraussetzung für das Erstere. Die Tribüne wird jetzt gerade saniert. Der Kunstrasenplatz wird das nächste Projekt sein. Und danach kommt das Flutlicht dran.
Flutlicht wird ab der Regionalliga gefordert. Also peilen Sie den sofortigen Wiederaufstieg an?
Klar wollen wir sofort wieder aufsteigen.
Im Idealfall sollte dafür ein Großteil der Mannschaft gehalten werden. Geht das?
Einige Verträge sind ja schon verlängert. Und jetzt laufen halt viele Gespräche, mit Spielerberatern und mit Spielern selbst.
Bleibt Pierre Merkel?
Das will ich nicht ausschließen, wir reden mit ihm.
Er fühlt sich scheinbar ganz wohl in Leutzsch.
Bei uns fühlt sich jeder Spieler wohl. In den letzten Jahren wollte nie ein Spieler gehen. Wir hatten manchmal richtig Probleme, Spielern beizubringen, dass es für sie für die nächste Liga nicht reicht.
Die Fans haben zuletzt diskutiert, was besser ist: Klassenerhalt oder Pokalsieg. Ihre Meinung?
Sportlich gesehen wäre der Klassenerhalt besser, finanziell ist es der Pokalsieg. Das ist schon lukrativ.
Ein gutes Los im DFB-Pokal wäre noch lukrativer. Was wäre Ihr Lieblingslos?
RB bei uns in Leutzsch, das hätte was. Aber erstmal müssen wir das Pokalfinale gewinnen. Das wird schwer genug.
Ihr Saisonfazit?
Vom Pokalfinale hat keiner zu träumen gewagt, das ist grandios. Der Abstieg ist bedauerlich, aber keine Katastrophe. Er wirft uns nicht um.
Interview: Uwe Köster
Politik
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