Ehrlich gesagt wusste ich gar nichts von dem regen Forenaustausch zwischen uns mit Protagonisten der „anderen Seite“. Ich persönlich schaue „drüben“ so gut wie gar nicht mehr rein, was einfach mit dem mangelhaften Niveau des Diskurses und dem herrschenden Umgangston zusammenhängt. Und für den augenscheinlichen Mangel an der Fähigkeit zum verstehenden Lesen bei einzelnen Usern kann ich leider auch nichts. Zumal es unterirdisch ist wenn man sich, statt mit dem Inhalt des Postings, nur mit dem postenden User der Gegenseite beschäftigt. Gut, das ist hier auch nicht anders. Leider. So ist wohl aktuell der Zeitgeist. Wer seine Meinung offen sagt/schreibt, begibt sich oftmals gefühlt in die Manege eines Zirkus…
Der ursprüngliche Beitrag wurde von mir vor etwa 9 Tagen unter „Dauerkarten“ erstellt und beschäftigt sich mit den Dauerkartenzahlen bei beiden Vereinen und die doch großen Differenz, trotz Rekord, hier wie dort. Zum Verständnis poste ich den Beitrag nochmal an dieser Stelle:
Natürlich sind wir bei einigen da draußen wieder Schuld. Unsere DKs wären doch angeblich zu billig, sie würden verschenkt usw.
Das diese Behauptung im nackten Faktencheck eben nachweislich nicht stimmen, hast Du ja gerade nochmal mit Zahlen belegt.
Die Gründe für die geringere Anzahl Dauerkarten in P. im Vergleich zu uns, liegen in der Tatsache, dass man aktuell eventuell einfach vergleichsweise weniger Allesfahrer hat (wir reden NICHT von anspruchsvoll und erfolgsorientierten Fans) als wir. Es zeigt eben schonungslos auf, wie viele Möchtegernlokis damals nach deren Neugründung in der Kreisklasse unterwegs waren und einen kurzen Hype aufgesessen sind. Nachhaltig war das ja nachweislich nicht und ich möchte jetzt ehrlich gesagt nicht wissen, wieviele davon heute zu RB rammeln. Für Lok scheint sich von denen unterm Strich dann jedoch kaum jemand ernsthaft interessiert zu haben. Zweiter Punkt. Die Masse „Onlinehooligans“ und (politisch eher rechts orientierte) Krawalltouristen aus dem eher ländlichen Raum kaufen für gewöhnlich eben kaum Dauerkarten und Lok ist nun nicht wirklich dafür bekannt, Familien in großen Scharen anzuziehen. Den Rest erledigt dort die mäßige Stimmung und der Pöbelfaktor vom eigenen Publikum. Ist meine persönliche Analyse.
Insgesamt betrachtet sind die jeweiligen Dauerkartenzahlen für eine Stadt mit Bundesligakonkurrenz natürlich sehr stark.
Und nun zur Zusammensetzung des Publikums und etwaige politische Strömungen dahinter. Natürlich wird der linksalternative Jugendliche bei der Wahl des Fußballvereins (abseits von RB) eher zu Chemie als zu Lok tendieren, so vom Elternhaus oder dem Freundeskreis keinerlei Vorbeeinflussung für einen der beiden Vereine existiert. In der Regel findet man besagte alternativ geprägte junge Leute hauptsächlich in der Stadt und weniger auf dem Land. Im eher konservativ bis rechts geprägten ländlichen Raum findet man (auch hier abgesehen vom Phänomen RB) widerum mehr jugendliche Lokfans. Gerade im Muldental teilt sich das unter Lok und Dynamo auf. Chemie spielt da keine so große Rolle, auch wenn Ausnahmen immer die Regel bestätigen. Nur kaufen diese Leute, zum Großteil ist da auch viel besagter jugendlicher Krawalltourismus dabei, kaum Dauerkarten und eine direkte Vereinsbindung fürs Leben findet man dort auch nicht. Die Highlights nimmt man mit und beim Ortsderby oder anderen „Hassduellen“ sollte man doch auch mindestens einmal in die große Stadt gefahren und die große Fresse auf dem Zaun gehabt haben. Zumindest habe ich dieses Bild vermittelt bekommen wenn man in jungen Jahren mal aufs Dorf gefahren ist und das Thema Fußball, abseits von Bayern oder BVB, aufkam. Chemiker waren da eher die Ausnahme. Viele von dieser beschriebenen Lok-Spezies gingen mit zunehmenden Alter gar nicht mehr zum Fußball und haken das heute als Phase ihrer Jugend ab, wie bspw. das Simson fahren, der Bushaltestellentreff oder die Dorfclubdisko jeden 2. Samstag. Wird auch heutzutage kaum anders sein.
Ja, bei Chemie findet man auch junge Leute, die einfach dem Hype des „etwas anderen“, Ultra-geprägten, renitenten Vereins und seiner Fanszene aufsitzen und das Ganze aber mit fortschreitendem Alter nicht mehr ganz so ernst nehmen. Und wo irgendwann vielleicht doch andere Dinge wichtiger als Fußball, alternativen Lifestyle, Demo oder Elektroparty werden. Und auch bei Chemie tauchen hin und wieder gewisse Personen nur zu speziellen Spielen auf, wo die Aussicht auf körperlichen Austausch mit dem Gegenüber besonders groß ist und der Kauf einer Dauerkarte für den weiteren Saisonverlauf nicht notwendig erscheint. Wie eben bei jedem Verein mit größerer Fanbase und überregionaler Strahlkraft. Trotzdem sehe ich unter dem Strich eine größere Bindung der Fans an Chemie als beim Gegenüber in P. Wir hatten das Thema hier auch schon mal. Die Liebe zu Chemie ist im Kern bei den meisten Chemiefans, auch bei den alten (oftmals politisch eher konservativen) Fans größer als der Hass auf den Erzrivalen.
Bei Lok sehe ich die Sache etwas anders. Anti-Chemie hier, Schaben da, blöde Zecken bla bla bla usw. Hauptsache man kann sich irgendwie an Chemie abarbeiten und am Neid zerfressen Hassfilme schieben, dummes Zeug erzählen oder sich künstlich aufblasen. Von den „Größten der Welt“ bleibt bei genauerer Betrachtung am Ende nicht mehr so viel übrig. Das Wichtigste scheint dort für manche Personenkreise, dass man nach außen immer noch das Schmuddelimage des 90er Jahre Hooliganverein pflegen kann. Genau dieses besagte Image was die oben beispielhaft beschriebenen rechtsoffenen Dorfschläger so fasziniert… Obwohl der Verein doch ganz andere Ziele hat. Diese jedoch sportlich als auch im Anspruchsdenken wohl nie erreichen und stattdessen beschriebene Hypotheken in der öffentlichen Wahrnehmung mit sich rumschleppen wird. Man wird sich also ewig mit Chemie um die Leipziger Nummer 2 duellieren und RB derweil den großen Profifußball beackern. Das ist die Realität. Die Gemeinsamkeit wird sein, mit den Jahren immer noch genügend Fannachwuchs zu generieren. RB reißt sich mit ihren regen Aktivitäten in Kitas und Schulen gerade geschickt eine ganze Fangeneration unter den Nagel ohne das man es groß mitbekommt. Und es ist schwer, dieser Beeinflussung etwas entgegenzusetzen. In spätestens 10 Jahren wird man sehen was ich meine…Das ist aber schon wieder ein anderes Thema.
Fazit meinerseits: Ein Stück weit kann man das durchaus mit Hamburger Verhältnissen (HSV vs. FC St. Pauli) in klein vergleichen. Ohne übertrieben politischen Anspruch wohlgemerkt, wie es dort der Fall ist. Denn wie in HH beziehen wir durchaus einen Großteil unserer Fanbase aus dem eher alternativ geprägten städtischen Milieu, während Lok dann doch eher den ländlichen Raum und innerstädtisch eher rechtskonservativ geprägte Leute abholt. Zu beiden Teilen funkt da nun verstärkt RB rein und zieht die Leute mit Bundesligafußball. Und das Bild vom brav malochenden Arbeiterverein gegen den reichen gutbürgerlichen Club ist ohnehin längst von der Zeit überholt.