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12.01.2024, 16:00 Uhr
https://www.lvz.de/sport/regional/chemie-leipzig-miro-jagatic-seit-fuenf-jahren-trainer-zukunftsplaene-SZDXGJZPVJDF5FJWT7B4YKNAW4.html Leipzig. Langlebigkeit im Trainergeschäft: ein seltenes Gut. Die 44 Jahre, die der Franzose Guy Roux beim AJ Auxerre trainierte, sind Weltrekord für Profiligen weltweit. Rekordhalter in deutschen Profiligen ist der Heidenheimer Frank Schmidt, mittlerweile 5961 Tage oder über 16 Jahre im Amt. Dagegen fühlen sich die fünf Jahre, die Chemie-Trainer Miro Jagatic bei der BSG Chemie tätig ist (Arbeitsbeginn am 7. Januar 2019), lediglich wie ein kurzer Moment an – und trotzdem ist er damit der am längsten im Amt befindliche Trainer im Fußball-Osten. Und in der Regionalliga Nordost sowieso.
Und auch die BSG Chemie und ihre zahlreichen Vorgänger und Nachfolger hatte noch nie einen Trainer, der länger im Amt war als der gebürtige Soltauer. Der legendäre Alfred Kunze war fünf Jahre verantwortlich bei der BSG, Karl Schäffner schaffte vier. „Auf solche Rekorde lege ich aber keinen Wert. Alfred Kunze und die Meisterelf waren Legenden, das ist absolut unerreichbar. Klar kann man sich geehrt fühlen, mehr aber auch nicht!“ Alles sei Teamwork, so Jagatic, der nichts davon hält, hervorgehoben zu werden. „Das waren wir alle zusammen, jeder hat seinen Beitrag geleistet“.
Entwicklungen in der Infrastruktur und im Sportlichen
Stolz macht ihn hingegen, beweisen zu können, dass auch mit kleineren Möglichkeiten viel erreicht werden kann. „Phänomenal, wie wir uns in den fünf Jahren alle gemeinsam entwickelt haben“, unterstreicht Jagatic, „damals war schon vieles noch sehr amateurlastig“. Schritt für Schritt sei die Infrastruktur entwickelt und vieles gebaut worden: „Flutlicht, Kunstrasen, Zäune, Trainingsbedingungen, Staff, Umfeld… Man kann gar nicht alles aufzählen“.
Jagatic hatte damals die Nachfolge des für viele überraschend geschassten Dietmar Demuth übernommen, weil der Vorstand das Ziel Wiederaufstieg als gefährdet ansah. Die Elf marschierte durch und etablierte sich seither als starke Kraft in der Regionalliga Nordost.
Was niemand wusste: Nach anderthalb Jahren wäre für den ehrgeizigen Trainer beinahe Schluss gewesen. „Es war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Ich habe ja auch meinen Kopf, Kompromisse dürfen keine Einbahnstraße sein. Am Ende war es ein Missverständnis, das wir im Gespräch gelöst haben“, so Miro Jagatic. Mehr will der Trainer nicht verraten – aber eines ist für ihn auch klar: „Natürlich streitet man auch mal und strubbelt sich, aber danach ist alles gut. Nur hinter dem Rücken geht gar nicht“.
Nicht nur der Verein, auch er selbst habe sich rasant weiterentwickelt. Am kommenden Mittwoch bekommt er seine Pro-Lizenz vom DFB überreicht, darf sich dann Fußball-Lehrer nennen. Seit neuestem ist er in den sozialen Medien auf Instagram präsent, will dort transparenter über sein Team und die Arbeit mit ihm berichten.
„Warum nicht wie Heidenheim auf ein Ziel hinarbeiten?“
Spricht er über seinen Verein, gerät er schnell ins Schwärmen. Er sagt Sätze wie: „Wir sind kein Mauerblümchen mehr, wir haben uns brutalen Respekt erarbeitet“. Oder: „Ich weiß, dass ich manchmal wie ein Arsch wirke, weil ich zu viel will, aber das sind wir der Fanbase und den Sponsoren schuldig, dass wir versuchen, alles herauszuholen.“ Und: „Egal, ob Sieg oder Niederlage – wenn man ins Stadion kommt und die Gesänge gehen los, ist das unbeschreiblich schön“.
Für eines brennt er, und das betont er mehrfach im Gespräch, ohne Wenn und Aber: Er müsse fühlen, dass es keine Zufriedenheit mit dem Erreichten gibt. „Das wäre eine Katastrophe, es darf auf keinen Fall einen Schritt zurückgeben. Dafür kämpfe ich!“ Ein klarer Zukunftsfahrplan sei unabdingbar. Wo will der Verein hin? Was wird mit der Jugend, mit den Frauen, mit dem Stadion, mit der ersten Mannschaft? Es benötige einen roten Faden. „Darüber sprechen wir, versuchen, einen Weg zu finden. Da müssen wir raus aus der Komfortzone“. Er selbst hat eine klare Vision. „Warum nicht wie Heidenheim auf ein Ziel hinarbeiten, das man mit viel Geduld und Respekt erreichen will? Da rede ich nicht von ganz oben, aber dass man weit kommen kann, hat dieser Verein gezeigt“. Wer raste, der roste, sagt der Trainer, und verweist darauf, dass er für die BSG nicht nur als Trainer unterwegs ist, sondern auf vielen Feldern mitspielt, um die Dinge nach vorn zu bringen. „Damit der sportliche Bereich nicht zurückfällt“.
In der laufenden Saison hat er zurückgesteckt, zugestimmt, dass an der Mannschaft gespart und in die Infrastruktur investiert werden müsse. Weil das eine ohne das andere nicht geht. Nächstes Jahr soll wieder das Team im Fokus stehen. „Wir haben so viel Potential im Verein, da haben wir noch nicht mal die Hälfte abgerufen“, findet er. „Es wird uns nicht in den Schoß fallen, alles ist harte Arbeit, aber wenn wir einmal ins Rollen kommen, wird uns so schnell keiner stoppen“. Markige, aber wohlüberlegte Worte. „Like a Rolling Stone“, fügt er hinzu und schmunzelt. Künftig soll wieder mehr Konkurrenzkampf im Kader herrschen, es wird qualitativ wieder mehr in die Breite gehen.
Jagatic: „Im Leben ist nicht das Geld wichtig“
Wird er also der „ewige Miro“, der „Rehhagel von Leutzsch“, der die Mannschaft noch auf lange Zeit betreut? Oder folgt er dem Ruf einer anderen Fußball-Schönheit, wenn die mit schnödem Mammon lockt? Jagatic wird ernst, es geht ihm um prinzipielles: „Wenn es um das Finanzielle gehen würde, wäre ich schon dreimal gewechselt. Im Leben ist nicht das Geld wichtig, sondern die Familie, dass man sich wohl fühlt. Ich wäre schön blöd, wenn ich wegen ein paar Euro den Verein verlassen würde.“ Erst im Sommer gab es einen Anruf eines Interessenten, ob man sich mal lose unterhalten könne. Er schlug sofort aus: „Das hätte sich sonst wie fremdgehen angefühlt“. Der ewige Miro will er aber trotzdem gar nicht sein: „Lieber der Miro, mit dem Chemie nach oben geht, das wäre mir viel lieber!“ Das „Heidenheimer Modell“ halt. Es sei denn, er fühlte sich ausgebremst, nicht mehr ernst genommen.
Dennoch weiß er, wie das Leben ist, und dass auch die schönste Station einmal zu Ende gehen wird. Wenn der Tag gekommen sei, sagt er, will er nicht streiten. „Ich weiß, wem ich was zu verdanken habe“. Wenn der Staffelstab eines Tages weitergegeben würde, will er samt Familie in Leipzig bleiben, den Kunze-Sportpark besuchen und viele gute Gespräche führen. „Ich weiß, wie das Geschäft ist. Aber das erwarte ich eigentlich nicht von meinem Verein!“