30 Jahre lang spielte eine gewisse Klientel unseres geschätzten Ortsnachbarn bei Ortsderbys „wilde Sau“, demolierte Zaunanlagen, schmiss Sitzschalen, verätzte Spielfelder, schoss Leuchtkugeln, beschmierte des Nächtens Traversen und nutzte auch sonst jede Gelegenheit, negativ in Erscheinung zu treten. Nahezu keine Peinlichkeit wurde ausgelassen. Manchmal mit einer Form der Selbstüberschätzung, die ihresgleichen suchte. Auch Chemie hat sich dann und wann nicht mit Ruhm bekleckert, jedoch steht das kaum im Verhältnis zu den oben aufgeführten Punkten.
Nun haben sich nach der Jahrtausendwende, genau genommen im Laufe der letzten 20 Jahre, einige Dinge in Sachen Verteilung der Kräfteverhältnisse wieder geändert. Was in den 90ern abseits des Stadions meist eine klare Sache für die Lokis war, ist heute zumindest in der Breite wieder eine relativ ausgeglichene Angelegenheit.
Warum sollte man auch sonst auf die ungeschriebene 10%-Regel verzichten und Chemie mit geradezu lächerlichen 450 Tickets abspeisen?
Vielleicht, besser höchstwahrscheinlich basiert diese Überlegung auf der schieren Angst, dass einen eines Tages die Ereignisse der Vergangenheit im eigenen Stadion einholen könnten. Rechnungen gebe es mit Sicherheit mehr als genug zu begleichen. So wollte man also von Seiten der Vereinsführung des 1.FC Lok am liebsten gar keine Gästefans beim früher noch so großen Ortsderby dabei haben. Vor der eigenen Klientel hat man ohnehin schon vor 30 Jahren kapituliert, was jedoch nicht verwundert. Die Vereinsführung des 1.FC Lok muss sich also ernsthaft fragen lassen, welche Vorstellung sie von Fußball hat. Man träumt dort Jahr für Jahr von der 3. Liga. Ziemlich erfolglos wohl bemerkt. Wie will man eigentlich nach einem (ohnehin nie stattfindenden) Aufstieg, die 3. Liga bewerkstelligen? Ebenfalls mit Gästefanverboten? Die Vereinsführung des 1.FC Lok muss sich fragen lassen, ob der Slogan „Fußball pur“ keine leere Worthülse ist. „Verbot pur“ oder „Schiss pur“ sind bessere und viel treffendere Slogans.
Ich hatte ja mal die leise Hoffnung, dass sich beide Vereinsführungen für kommende Derbys (und bei Erhöhung unserer Zuschauerkapazität in Leutzsch) auf immer mindestens 1.000 Gästetickets für den jeweils anderen Verein einigen. Eine Art offizielle Vereinbarung zum Erhalt eines stimmungsvollen Ortsderbys. Ich befürchte, davon sind wir wieder meilenweit entfernt. Das ehemals große Leipziger Ortsderby wurde Jahr um Jahr immer weiter zerstört. Erst von Polizei und Sicherheitsbehörden. Nun sogar von Vereinsoffiziellen des 1.FC Lok. Die Szene da drüben sollte wissen, bei wem sie sich bedanken darf, wenn es zum Rückspiel eine ähnliche Regelung geben sollte. Was ich ehrlich nicht hoffe, denn ein Derby lebt auch von der Anwesenheit von Gästefans in einer angemessenen, derbywürdigen Anzahl. Auch wenn man sich hasst...
Ansonsten kann man das Leipziger Ortsderby auch sein lassen denn es verliert mit seinen Verboten und Repressionen seine Einmaligkeit, seine Seele und seinen Reiz.