Jetzt hat es mich doch übermannt, auch weil mir manche Erklärungen und Ausflüchte des Probstheidaer Lagers zu billig sind. Ich kann verstehen wenn der Eigenschutz anspringt weil der Erzfeind argumentativ in Vorhand ist. Die Tatsachen zu verklären oder gar schön zu schreiben finde ich dann doch persönlich ziemlich unehrlich. Zumal Lok ja nun selber schuld ist wenn sie eher zweifelhafte Klientel zu sich ins Stadion ziehen. Wegen des schönen Fußballs geht sicherlich keiner ins Bruno-Plache-Stadion und auch nicht in den Alfred-Kunze-Sportpark.
Um das Handeln mancher Lokisten zu verstehen, sollte man sich vielleicht mal mit deren, aber auch unserer Historie, besonders aus Fansicht, beschäftigen. Beides hat eng miteinander zu tun. Und mit beschäftigen meine ich nicht das Aufzählen von vermeintlich heroischen Situationen innerhalb einer Schlägerei oder wüste Massenkrawalle, wie es mit Beginn der 80er Jahre und dem Auftauchen des Hooliganismus in der ehemaligen DDR üblich war. Auch vor Chemie machte diese Entwicklung hin zum Faustrecht und dem „Recht des Stärkeren“ einst nicht Halt. Da erinnere ich nur an die legendären Schlachten gegen Union Berlin im Georg-Schwarz-Sportpark und am alten Leutzscher Bahnhof oder an heftige Situationen nach den eher seltenen Ortsderbys im Zentralstadion oder im Stadion des Friedens. Dort gabs für Lok ob ihrer damaligen personellen Unterlegenheit auf den Rängen oft sehr derbe Haue, auch wenn deren Leute keine Luftpumpen waren und relativ früh lernen mussten, sich einer Übermacht zu erwehren. Mit dem sportlichen Abstieg von Chemie 1985 ist dieses ganze Phänomen Fußballkrawall mehr und mehr aus Leutzsch verschwunden, auch weil Lok über den eigenen sportlichen Erfolg die Leipziger, und ganz besonders die Leipziger Jugendlichen anzog. Man kann ja mal die ganz Alten bei Chemie fragen, wie trostlos es nach dem Abstieg manchmal im AKS bzw. GSS war, wenn man mal von einem temporären Highlightspiel oder Krawallfahrten bspw. nach Gera 1988 absah... Nach der Wende flammte das Thema Hooliganismus zwar nochmal kurz bei Chemie bzw. beim FC Sachsen auf, verschwand dann bis Ende der 90er und der Gründung der Metastasen wieder.
Fakt war, eine ganze Fangeneration ist vor der politischen Wende bei Lok/VfB gelandet und prägte auch deren großes Hooliganpotenzial nach der Wende. Die wollten nie wieder in die Situation kommen, auch nur ansatzweise Gefahr zu laufen von Chemie irgendwie Haue zu bekommen.
Weder auf dem Spielfeld noch außerhalb. Das erklärt unter anderem die fast schon zwanghafte Selbstglorifizierung ihrer eigenen Lok-Althoolgarde und die latende Akzeptanz von Gewalt/Randale im Falle des sportlichen Misserfolges. Und da rede ich jetzt nicht von spontanen Wutausbrüchen wegen einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters oder einer provokativen Geste des gegnerischen Spielers sondern von geplanten Aktionen bis hin zum Spielabbruch oder anderem. Als ich in jungen Jahren bei Dynamo-Gastspielen in Probstheida mal den Gästeblock aufsuchte, wähnte ich mich vor, während und nach dem Spiel fast schon im Kriegsgebiet und fand mich auch mal am Boden einer Straßenbahn übersät mit Glasscherben wieder. Da flog dann halt kurzerhand auch mal ein Pflasterstein durchs Straßenbahnfenster während sich draußen blaue B-Jacken gegenseitig derbe vermöbelten. Krawalle wurden (beiderseits) minutiös geplant, Leuchtspurgeräte gehörten zur Standardausrüstung und die Gartenzäune der probstheidaer Gartenanlage hatten im Jahr 4x neue Latten dran... Einigen Menschen, die diese Zaunlatten abrissen um sich unter tosenden Dynamo-Rufen auf zur Kreuzung Richtung Lokhools machten, hatten definitiv noch weniger Latten am Zaun. Jeglicher Zennober abseits des Spielfeldes wurde jedenfalls absichtlich herbeigeführt.
Das durften wir bspw. 2002/03 in Leutzsch beim sogenannten „Hassderby“ bewundern, als einem die Leuchtraketen in Kopfhöhe nur so um die Ohren zischten, Stadionmobiliar zu Bruch ging und es auf dem Dammsitz über das gesamte Spiel zu heftigen Schlägereien bis hin zur polizeilichen Blockräumung kam. Von der 20-minütigen Spielunterbrechung oder faschistischen Spruchbändern im Gästeblock sprechen wir hier noch gar nicht. Heute hätte man das Spiel nach einer Viertelstunde abgebrochen, das Stadion mit 4 Hundertschaften der Polizei geräumt und draußen mit Wasserwerfern Tatsachen geschaffen... Im Winter 1998 wäre es ja fast schon soweit gewesen. Zurück blieb jedenfalls ein komplett zerstörter Dammsitzblock und demolierte Zaunfelder. Ich weiß nach diesen ganzen Aufzählungen ehrlich gesagt gar nicht so recht wo manche Lokis immer ihren Anspruch auf Jammerei wegen irgendwelchen zerstörten Wellbrechern, 3 Leuchtraketen oder einen dampfenden Kackhaufen hernehmen. Wenn ich da an manche Derbys in den letzten 30 Jahren, u.a. mit Pferdestaffeln auf dem Spielfeld, deutschlandweiten Hooligantreff auf dem Dammsitz, im Vorfeld besudelten AKS-Rasen, zerschlagene Sitzschalen, Farbanschlägen, Brandanschlägen, Kneipenüberfälle usw. zurück denke, dann wirkt unter dem Gesichtspunkt, dass der Aggressor des Krawalls mehrheitlich blau-gelbe und befreundete Farben trug, jede Jammerstunde über chemische Fanvergehen skuril. Über was beschwert man sich eigentlich in Probstheida und wo nimmt man sich das Recht auf Beschwerde überhaupt her? Das eines Tages Karma zurückschlägt, Rechnungen aufgemacht werden und einen die Geister heimsuchen, welche man einst selber rief, sollte doch eigentlich bekannt sein. Das Opfer von gestern kann auch der schlimmste Feind von morgen sein...
Lok wird seine ewige Geisel Hooliganismus und manch rechtsextreme Fangruppe nicht los, weil man es seit 1990 gar nicht los werden wollte. Von Hooligans als Verein im Treibhaus von Steffen K. neu gegründet, also von Leuten welche man zwar heute offiziell verflucht aber inoffiziell trotzdem gerne als Drohkulisse herausholt um vermeintlich gerechtfertigte Ansprüche zu unterstreichen. Nicht umsonst werden Lieder von TKS („Tanzkapelle Südfriedhof“) offen oder heimlich abgefeiert. Inhalt dieser eher zweifelhaften Machwerke? Nun ja. Wenige Lieder besingen die sportlichen Erfolge von Lok. In der Mehrzahl geht es eigentlich nur darum Chemiker zu beleidigen, zu jagen und/oder heftig zu verprügeln. Und dafür möglichst noch den Beifall der eigenen gewalttätigen Klientel zu bekommen. Den selben Chemikern haut man bildlich besungen brutal in die Fresse, denen man andersrum doch immer vorwirft sie könnten nur unfair in Überzahl Lokfans überfallen oder Fanschals klauen. Wenn der eigene zusammengesponnenen Mist, welchen man so auf CD erzählt/besingt bzw. öffentlich verbreitet nicht so schizophren wie volksverhetzend wäre, könnte man glatt darüber lachen.
Ich könnte diesen, zugegeben längeren Text auch auf einen Satz komprimieren. Bei Lok ist man eben so, weil man eben genau so sein und genau dieses Bild des notorischen Gewalttäters vermitteln will. Und man will krampfhaft gegen Chemie abschrecken, was wiederum das Befeuern von jugendlichen Gruppen mit Boxerfrisur erklärt, deren Support weniger mit der Unterstützung der eigenen Mannschaft zu tun hat als viel mehr mit gewalttätigen Übergriffen auf Chemiefans. Die Erziehung zum blinden Hass auf Chemie ist hier definitiv größer als die Vermittlung von Liebe zum eigenen Verein. Gebe es morgen Chemie nicht mehr, hätten einige Leute dort draußen ohne Übertreibung eine heftige Sinn- und Lebenskrise. Nun reden wir hier tatsächlich von einer sehr lauten, präsenten Minderheit und der Anteil an Lokhools ist verglichen mit den 90ern um ein vielfaches geringer. Trotzdem genießt diese Szene dort draußen immer noch hohes Ansehen und innerhalb der Fanszene gewissen Einfluss, den man auch im Zweifel geltend macht. Die begreifen sich als Maßstab von Lok, sehen sich als Alleinvertreter des Vereins und die juckt auch nicht was die schweigende, vielleicht auch kritische Mehrheit über manches Handeln denkt. Ich habe z.B. 2 ehemalige Klassenkameraden aus der Schulzeit. Keine Kinder von Traurigkeit und sie sind in jungen Jahren auch keinem Streit vorm Stadion aus dem Weg gegangen um es charmant auszudrücken... Als wir uns jedenfalls zum Klassentreffen über Fußball unterhielten und ich sie fragte was sie zu deren Theater im Verein sagen, äußerten sie nur das sie dort längst nicht mehr hingehen weil sie auf das: Zitat sinngemäß „geistig ziemlich limitierte Pack in manchen Stadionbereichen einfach keinen Bock mehr haben“. Und die meinten damit ausdrücklich nicht deren Fankurve sondern ganz andere Elemente. Garniert mit dem Satz „Wenn ich als Kind nicht familiär beeinflusst worden wäre, ich würde heute zu Chemie gehen. Zumindest wenn es um die Stadionatmosphäre geht“. DAS lässt dann doch sehr tief blicken finde ich.
Es ist also schon ein qualitativer Unterschied zwischen den Fanszenen, auch ab der politischen Positionierung der jugendlichen Klientel, klar erkennbar. Bei Chemie vermittelt man die Liebe zu Chemie, die Geschichte des Vereins und seiner Fanszene. Irgendwann kommt dann natürlich auch der Hass auf Lok, der bei manch einzelnen älteren Semester auch auf negativen persönlichen Erfahrungen mit Lokhools beruht. Bei Lok vermittelt man in meiner Wahrnehmung wohl hingegen zuallererst den Hass auf Chemie. Auch wenn das jeder Logik entbehrt, hat doch in allererster Linie der 1. FC Lokomotive von den Zwangsdelegationen zu DDR-Zeiten profitiert. Wenn, dann sollte der gemeine Chemiker mehr Hass in sich spüren als der gemeine Lokist auf Chemie. Völlig unlogisch, wenn gleich das aber auch die Angst mancher Lokfans vor der Rache der aufstrebenden Chemiker sein könnte, wenn diese mal irgendwann Vergeltung üben würden wollen. Die meisten jüngeren Lokisten wissen ja gar nicht wie lokistenfeindlich die Straßen vor 1983/84 und dem Stadion des Friedens sein konnten. Wo wir wieder am Anfang des Textes wären.
Nichts ist Zufall und das Gemecker und Gejammer in Probstheida einfach Ablenkung von den eigenen Problemen. Früher waren es angeblich zugereiste Berliner, Hallenser, Erfurter oder weiß der Geier für Chaoten. Und heute zeigt man lieber auf Chemiker und spinnt sich irgendwas von Böller werfenden, als Lokfans verkleidete Chemiefans zusammen. Ich weiß nicht ob man dort immer noch nicht begriffen hat, was deren Problem ist. Nämlich das Lok vom persönlichen Gefühl her als Inbegriff des von Rechts unterwanderten Hooliganvereins ein Anziehungspunkt für eben solche Leute oder für bildungsferne, sozial abgehängte Menschen ist. Und dies ist keine Behauptung sondern der Blick von nicht wenigen Menschen innerhalb der Leipziger Stadtgesellschaft.