Gegner-Check
Babelsberg, die ja auch – wie manch einer vielleicht schon vergessen hat – eine Saison in Liga 2 gekickt haben (2001/02), spielen nach dem Drittligaabstieg 2013 (für Chemie zum selben Zeitpunkt der bittere Abstieg aus der 6. Liga) schon ihre 5. Saison in der Regionalliga Nordost. Bisher konnten sie sich jedes Jahr verbessern (14., 11., 6. und 5. Platz). Seit den Abstiegen beider Vereine hat Chemie in vier Jahren unglaubliche drei Spielklassen auf Babelsberg aufholen können. Solche Quervergleiche sollte man sich immer wieder vor Augen führen.
Eine große Gemeinsamkeit haben aber beide Clubs im Sommer 2017: Zu Beginn dieser Spielzeit haben auch die Babelsberger nicht gerade einen üppigen Kader aufzubieten, mit 20 Spielern gerade einmal zwei Spieler mehr als Chemie, es wird also der kleinste Kader (Chemie) auf den drittkleinsten Kader stoßen. Nur Geheimfavorit Viktoria Berlin hat sich mit derzeit 19 Spielern noch dazwischen geschoben.
Von den 20 Spielern bei Babelsberg hatten vor Beginn der neuen Spielzeit bis auf Neuzugang Tim Steuk und der Jüngste im Kader, Tobias Dombrowa, alle anderen Spieler bereits Regionalligaerfahrung vorzuweisen, der eine weniger bzw. sehr viel weniger (Ersatzkeeper Marco Flügel mit erst einem Einsatz) und der andere mehr bzw. sehr viel mehr (Stammkeeper Marvin Gladrow mit bereits 164 Regionalligaeinsätzen, die er für Babelsberg und Cottbus II bestritten hat).
Babelsberg stellt mit gerade einmal 22,45 Jahren die drittjüngste Mannschaft der Liga (hinter Hertha II und dem Berliner AK) und ist – ja im Grunde auch Natur der Sache – auch statistisch eine der unerfahrensten Mannschaften der Liga. Und dennoch, im Vergleich zu Chemie trennen beide Kader dann doch schon ein paar Welten. Während der 18köpfige Kader von Chemie im Durchschnitt zwei Jahre älter ist (24,33), was etwas überrascht (und damit Chemie ligaweit nur an zehnter Stelle), kommen die Babelsberger Kicker dennoch auf fast fünfmal so viele Einsätze in der Regionalliga oder in noch höheren Spielklassen (1307 Einsätze bei Babelsberg, 281 Einsätze bei Chemie). Noch eklatanter ist das Verhältnis zwischen erzielter Treffer in diesen Einsätzen, während Babelsberg da auf 131 erzielte Tore im Kader verweisen kann, sind es bei Chemie ganz genau FÜNF Erfolgserlebnisse in Form wackelnder Tornetze.
In Sachen taktischer Ausrichtung formiert sich der SVB mit einem modernen 4-2-3-1 System, das am ersten Spieltag (2:1 gegen Hertha II) folgende Formation ausfüllte:
Gladrow – Knechtel, Wilton, Eglseder, Okada – Reimann, Saalbach (K) – Hoffmann (69. El-Jindaoui), Büyükdemir (31. Hennig), Schmidt (84. Dombrowa) – Shala
Die Tore erzielten Büyükdemir und Shala. Shala? Das ist – ohne Wenn und Aber – der absolute Star der Mannschaft (spielte früher beim HFC und BFC und auch in Jena). Angesichts der hochkarätigen Abgänge überrascht es dann doch schon ein wenig, dass sich Andis Shala (16/17 mit 21 Saisontoren hinter Federico Palacios auf Platz 2 der Liga-Torschützenliste) für weitere zwei Jahre an den Verein gebunden an, eine Herzensangelegenheit, wie es scheint. Shala ist der einzige Spieler im Kader, der wirklich schon mal über der Regionalliga hinaus seine Visitenkarte abgegeben hat, was ansonsten sehr untypisch für diese Liga ist, wo bei manchen Verein jeder zweite Spieler schon in Liga 3 oder gar Liga 2 aktiv war. Allein drei Jahre lang spielte Shala – wenn auch nur als Teilzeitkraft – in der 1. schottischen Liga (für Dundee United). Dass er nun noch immer in Babelsberg ist, sollte eine Art Lebensversicherung für den SVB 03 darstellen, da ansonsten der Kader eher als bestenfalls Liga-Durchschnitt angesehen werden dürfte. Der nächstbeste – dem Verein erhaltene – Torschütze der vergangenen Saison ist übrigens Abdulkadir Beyazit und das mit gerade einmal drei Treffern. So verwunderte es dann am 1. Spieltag eben auch nicht allzu sehr, dass es am Ende Shala war, der den Siegtreffer erzielte, ein Bilderbuchkopfball ins rechte Eck.
Was das erste Saisonspiel von Babelsberg betrifft, sei gar nicht so viel zu sagen. Bei einer Affenhitze boten weder Babelsberg noch die Hertha-Bubis einen fußballerischen Leckerbissen. Babelsberg war schlussendlich einfach die Mannschaft, die es einerseits mehr erzwungen und andererseits auch das Glück auf seiner Seite hatte, um den knappen 2:1 Vorsprung über die Zeit zu retten. Auffällig war der Topneuzugang der Babelsberger, Tino Schmidt, der von Lautern II (früher Jena) kam und auf der rechten Außenbahn zumindest in Halbzeit eins ordentlich Betrieb machte, bis nach einigen Sprints auch bei ihm die Hitze ihren Tribut einforderte. Am Ende standen für ihn im ersten Spiel für Babelsberg zwei Torvorlagen zu Buche. Kein übler Einstand!
In Sachen Neuzugängen haben es die Babelsberger sehr ruhig angehen lassen. Sechs neue Spieler (wie aktuell auch noch Chemie), das unterbietet nur Halberstadt (Hertha II mal ausgeklammert). Aber diese sechs Neuzugänge werden auch sofort gebraucht und eingesetzt, zumindest standen gleich fünf an der Zahl am ersten Spieltag in der Startaufstellung (im Vergleich dazu waren es bei Chemie nur zwei). Rechtsverteidiger Okada (81 Regionalligaspiele, 5 Tore), Abräumer Sven Reimann (78/7), Innenverteidiger Lukas Wilton (52/2), Spielgestalter Kubilay Büyükdemir (36/4) und Rechtsaußen Tino Schmidt (148/29) bringen trotz ihres jungen Alters mehr Regionalligaerfahrung mit, als das was der gesamte Chemie-Kader zu bieten hat (395:281). Babelsberg hat seine Mannschaft im Sommer stark verjüngt (Okada mit 26 Jahren ältester Neuzugang, die anderen fünf Neuen sind 23 oder jünger). Im Kader der Babelsberger sind acht der zwanzig Spieler 18-20 Jahre jung (bei Chemie sind es vier Spieler in dieser Altersklasse). Dennoch hat Babelsberg noch einige Spieler mit ordentlich Erfahrung in seinen Reihen. Zu den Spielern mit mindestens 100 Regionalligaspielen (oder höher) gehören: Torjäger Andis Shala (195 Spiele, 55 Tore), Stammkeeper Marvin Gladrow (164), Neuuzugang Tino Schmidt (149/29), Innenverteidiger Mike Eglseder (136/4) sowie Kapitän Philip Saalbach (100/1). Alle fünf standen am ersten Spieltag auch in der Stammformation. Die Mischung aus „Jungen Wilden“ und „gestandenen Regionalligaspielern“ scheint bei Babelsberg nicht die Schlechteste zu sein. Es wird im Übrigen das Spiel der wenigsten „Legionäre“ auf dem Platz werden, bei Babelsberg gibt es einen (Neuzugang Okada), und die zweitwenigsten hat dann eben Chemie (Latte und Marko, Montreal und Sarajevo)
Bei den Abgängen musste Babelsberg jede Menge Erfahrung ziehen lassen. Acht Spieler gingen, darunter die sechs folgenden Stammkräfte: Erdal Akdari (vergangene Saison 30 Spiele, 3 Tore), Laurin von Piechowski (33 Spiele, 2 Tore), Ugurtan Cepni (31 Spiele), Bilal Cubukcu (32 Spiele, 5 Tore), Lovro Sindik (32 Spiele, 3 Tore) und Matthias Steinborn (33 Spiele, 8 Tore). Cepni, Cubukcu und Steinborn sind dabei geschlossen zum Ligakonkurrenten BFC gewechselt. Aber auch die zwei weiteren Abgänge waren keine Unbekannten in der Regionalliga, wenn auch vergangene Saison mit nur wenig Einsatzzeit: Kevin Otremba (42 Regionalligaspiele) und Nils Fiegen (78 Regionalligaspiele, 2 Tore).
Während sich die Chemie-Fans auch durchaus auf die lautstarken Gästefans freuen dürfen, gibt es dann am Sonntag auch noch ein Wiedersehen in Leutzsch. Bei den Babelsbergern auf dem Trainerstuhl sitzt seit diesem Sommer Almedin Civa, sicherlich noch vielen (nichts und niemand vergessenden) Leutzschern ein vertrauter Name, denn der heute 45jährige Bosnier verbrachte die erste Jahreshälfte 2004 beim FC Sachsen, ehe es nach nur acht Einsätzen und den Abstieg aus der Regionalliga für ihn bei Halle weiterging (er stand sowohl bei dem ersten beschi… Spiel im Zentralstadion gegen Dortmund II als auch bei dem sagenumwobenen Spiel bei St. Pauli jeweils 90 Minuten auf dem Platz). Civa, der Cem Efe (war vier Jahre Coach in Babelsberg) abgelöst hat, ist nicht neu im Verein, seit Januar 2013 ist er als Sportlicher Leiter beschäftigt. Und nun eben auch noch als Trainer.
Das Fazit und wer schlau ist, fängt erst hier an mit lesen (um seinen Augen den ganzen Rest zu ersparen):
Lok war Derby, kein normaler Ligaalltag, schon gar nicht für einen Aufsteiger am ersten Spieltag. Cottbus war eine andere Liga. Babelsberg? Hm, da ist durchaus der erste Punkt drin, ja doch, ob Babelsberg wirklich ein Ligakrösus ist, darf zumindest leise angezweifelt werden. Nein, Babelsberg ist einer dieser Gegner, wo dir niemand den Kopf abschlägt, wenn es am Ende nicht reichen sollte, aber auch ein Gegner, von deren Sorte du im heimischen Gefilde auch ab und an mal ein paar Pünktchen ergattern musst, sozusagen außer der Reihe und fern ab der „Sechspunktespiele“ gegen Teams wie Neustrelitz oder Luckenwalde. Nur so wirst du in zehn Monaten wenigstens drei Teams in der Tabelle hinter dir stehen haben. Also, auf geht’s Chemie, kämpfen und siegen!