Ich verstehe überhaupt nicht, warum man thematisch so ein Gewese veranstaltet oder irgendwelche Zeitungen plötzlich wieder einen Aufschrei nach dem Anderen, gepaart mit Forderungen nach noch mehr staatlicher Repression zu Papier bringen. Dabei ist die Sachlage hinter den Kulissen eigentlich sehr einfach und wer länger als 3 Monde in Leipzig zum Fußball geht, kommt selber zur Erkenntnis wie der Hase läuft. Und nein, RB zählt nicht und ist auch nicht Leipziger Fußball!
Mein persönlicher Reim auf die Geschehnisse nun hier.
Eine Fanszene, deren „DNA“ seit ungefähr 30 Jahren zumindest in Teilen auf Hooliganismus und ausgeprägten Machotum beruht, wird sich niemals gegen ihre eigene Geschichte und diejenigen stellen, die sie heute irgendwie weiterführen zu gedenken. Hooliganismus wird dort, ähnlich wie beim BFC Dynamo in Berlin, einfach mal offen oder gerne im Stillen glorifiziert. Die Machtstruktur der mittlerweile natürlich wesentlich kleiner und älter gewordenen Szene fußt auf die Gewalt der Straße, die bloße Existenz von Kampfsportbuden und das Milieu dahinter sicherte deren Fanszene „Ansehen“ und „Ruf“ in der Republik, wenn es schon auf dem Rasen nie rund läuft. Darauf zielte auch das doppeldeutige Spruchband „Der Mythos lebt“ ab. Was am Sonntag passiert ist, sollte auch so oder so passieren. Eben weil Eintracht Frankfurt bzw. deren Szene mit ihrem europaweiten Ruf und, quasi als Bonbon, deren Freundschaft zu unseren Ultras symbolisch ein Angriffspunkt darstellt. Was diese Leute von Lok antreibt ist von ihrem Weltbild aus betrachtet ganz logisch. Wut und verletzter Stolz… Chemie wehrt sich seit Jahren zusehends erfolgreicher gegen Lok bzw. deren Umfeld. Kreativ, mit starkem Support, Zulauf an jungen Fans und damit natürlich auch zunehmende Wehrhaftigkeit. Die Freundschaft zu FFM und das enge Bündnis ist denen natürlich ein weiteres Dorn im Auge weil es, zusätzlich zur chemischen Fanexpansion, deren Anfang der 90er schrittweise und mühevoll aufgebautes Gewaltmonopol auf der Straße mindestens mal in Frage stellt. Einfach ausgedrückt: Chemie ist erfolgreich, cool und zieht junge Leute die sich eben auch nichts gefallen lassen. Und dann kommt für Lok so ein DFB-Pokallos… Was am Sonntag passiert ist, sollte ein gewalttätiges Achtungszeichen auch in unsere Richtung darstellen, was aber nach außen A) eher albern und sinnlos aussah (z.B. Böller auf Rollstuhlfahrer, Mülltonnen umkippen usw.) sowie B) für die Außendarstellung des eigenen Vereins völlig nach hinten losging.
Dabei sollten wir auch mal historisch auf uns blicken weil alles mit allem irgendwie zu tun hat. In den 80ger und 90er Jahren hat man bei uns auch mehrfach versucht, Hooliganismus zu etablieren und organisiert aufzuziehen. Das ist im Endeffekt immer gescheitert weil wir ligentechnisch fast nur unter Lok/VfB spielten und die Masse Jugendlicher welche beim Fußball die Action suchten, lieber in der 1. und 2. Bundesliga am Start waren, als mit Chemie in Liga 3 oder darunter über irgendwelche Käffer zu ziehen. Bis auf ein paar Gruppen wie bspw. „Die Sorglosen“ und die „Sächsische Volksfront“ in den 80ern oder „WSF Jungs“ und „Des Fußballs Metastasen“ in den 90ern konnten sich nie Gruppen mit mehr oder weniger großen Hooligananspruch über längere Zeit halten, noch hatten sie großen Zulauf. Diese Gruppen blieben zahlenmäßig insgesamt überschaubar. Ironie der Geschichte, dass Letztgenannte sogar noch zur Spaltung und dem Ende des FC Sachsen beitrugen. Kurzum. Chemie war auf Fanebene, ähnlich Union Berlin, stets eine stolze, wehrhafte Masse, aber kein primär auf Gewalt fokussierter Mob, der Fußballkrawalle in den absoluten Mittelpunkt des Fandaseins rückte. Hooliganismus hat bei Chemie nie eine sehr große Rolle gespielt und wurde demzufolge auch nicht ausgeprägt kultiviert wie bspw. beim BFC, Lok, CFC oder später Dynamo Dresden. Bei Lok hingegen ist es für die Verantwortlichen und einen Teil der Fans nun ein einziger Fluch, während es für den anderen Teil ein Stück weit auch (VfB-)Folklore aus ihren Jugendtagen darstellt. Daher glaube ich eben nicht, dass man dort diese Szene bzw. die Leute rausbekommt. Es ist zu tief verwurzelt, das „Personal“ dort ein Stück weit fester Teil deren Identität. Der Verein wurde eben von Hooligans neu aufgebaut… Die Reaktion in deren Forum muss also keinen verwundern.
Als Gedankenstütze für unsereins wäre es verglichen in etwa so, als wolle man die Ultrakultur bei Chemie verbannen. Unser Verein wurde von Ultras neu aufgebaut, die Ultrakultur ist bei den jungen und den Leuten mittleren Alters tief verwurzelt…
P.S. Kleiner Sidekick zum Ende. Ähnlichkeiten zur Situation bspw. in Hamburg sind übrigens kein Zufall. Mit dem extremen Erstarken des FC St. Pauli und deren Szene steckt die HSV-Fanszene auch in mehreren, ähnlichen Dilemmas.
Nun wieder raus.