Nachfolgend ein paar Gedanken zum Ableben des FCS von einem unserer Leutzscher Freunde…
FC Sachsen Leipzig *1990 – †2011
Es ist der 1.Juli 2011, ich stehe an deinem Grab. Dein Leben ist zu Ende. „Na endlich!“ sagt in mir eine Stimme „du warst ja nicht mehr auszuhalten“. „Mußte es wirklich so weit kommen?“ meint eine andere Stimme in meinem Kopf. Dieser Dialog geht schon eine Weile. Er begann als klar wurde, daß du nicht mehr lange zu leben hast, vielleicht ein gutes halbes Jahr her. Man muß die Zeiten wohl trennen, in ein vorher und nachher.
Ich kann nicht leichtfertig schreiben: Du bist nie wirklich Chemie gewesen, alles halb so schlimm, hört auf zu flennen. Für mich warst du alles was ich von Chemie kannte, du warst für mich Chemie, gar keine Frage. Wie zig tausende vor mir hast du mich irgendwie verzaubert, infiziert, nicht mehr los gelassen. Es war 2003. Mein Papa hielt auf den VfB und er sagte Lok dazu, aber er war nur so ein MDR-Videotext-Lokist. Vielleicht war es eine pubertäre Spinnerei, daß ich deswegen auf Sachsen Leipzig hielt, auf Chemie, wie er es nannte (weil es wohl früher immer so hieß). Aufstiegskampf in der Oberliga, noch 2. Platz, Siegesserie, soviel wußte ich als Videotext-Chemiker. Der Geo-Lehrer platzt in eine Geschichtsstunde, er hat Freikarten fürs Spitzenspiel, ich greife zu, das guckst du dir mal an. 12. April 2003, Chemie gegen CarlZeiss, den Tabellenführer, 3:1 für Chemie, tausende fanatische Grün-weiße Jubeln in der Sommerhitze. Ich stehe allein in der Menge, ich kenne niemanden, rede mit niemandem, aber sofort weiß ich: Da gehörst du dazu! Das ist Fußball! In der nächste Woche stehe ich in einem Sportgeschäft und kaufe mir meinen ersten Schal und eine Woche drauf ist wieder Fußball in Leutzsch. Es war passiert, ich war Chemiker. Und bald schon wußte ich, daß diese Liebe niemals enden wird. Leutzscher ist man und bleibt man und Chemie wird niemals untergehn.
Ich hab dich nie so richtig durchschaut, ich bin dir eben gefolgt, wo du hinbist. Ich fand das ZS nicht besser als den AKS, aber es war der Aufbruch in eine moderne Zukunft, wir hatten Lok abgehängt, wir waren beliebt und im Aufwind. Ich fand es wichtig, Mitglied zu werden, noch mit 17 glaub ich. Ich war Idealist (und bin es bis heute) und glaubte auf meinen Mitgliedsbeitrag und meine Stimme in der MV käme es an. Aber ich verstand nicht viel von dem was da lief. Im Stadion warst du mir so vertraut, aber in der MV so seltsam fremd. Ich brachte Namen durcheinander, Till, Heller, Opitz, Kölmel, Darlehen hier, Rücktritt dort, neues Präsidium, ziemlich hohe Schulden, die aber nicht so wichtig seien. Die Vereinspolitik schien nicht bei den Mitgliedern zu entstehen sondern in der Kinowelt-Villa und bei geheimen Abendessen und Verhandlungen. Ich merkte dann daß irgendwas schief lief, daß wir abhängig waren. Man lud mich in eine AG Fairplay ein, ich kam ein paar mal aber verstand das meiste nicht, außer daß alles falsch läuft. Bis heute bin ich auch nicht viel schlauer.
Auf der Geier-Euphorie lief ich mit. Die werden schon wissen was sie tun. Frustriert von Vereinspolitik verlegte ich mich auf den Spaß im Stadion, sang und tanzte mit, egal ob man gegen Wattenscheid verlor oder gegen Eilenburg gewann, aber bald wurde es ja auch schon ruhiger. Die Diablos waren weg. Ich empfand sie ein bisschen als Fremdkörper im Verein und war erstmal froh als sie weg waren, diese Störenfriede, Verräter ja sowieso. Aber egal, wir können auch ohne die.
Ellinger, Lonzen, ungezahlte Gehälter, Zuschauerschwund, ZS-Frust, AKS-Test, Retter-Shirts, Retter-Konto, Retter-Konzert, man zog an einem Strang, aber es lief nich mehr so richtig.
Also Neuanfang in Leutzsch, neuer Vorstand, Sanierung des AKS. Ich packte mit an und ich merkte es kam was in Bewegung. Sympathie mit dem Vorstand in der MV, das Gefühl: wir stehen zu sammen. JFs Blog machte Hoffnung, es geht voran. Der Vorstoß Richtung BSG: Genau, richtig, was trennt uns noch? Los gehts! Zur ersten Abstimmung auf der MV merkte ich erstmals wie vergiftet das Klima war, wenn man auf das Thema BSG kam. Ich verstand diese Leute nicht. Vergebung und Neuanfang gehören zum Leben, ohne das nur verbrannte Erde. Der Ärger über diese Fraktion steigerte sich fast zum Haß, als JF rausgeekelt wurde.
Und dann kam die IG, der erhoffte Neuanfang, die ersehnte Versöhnung, wir glaubten fest sie seien möglich. Unsere Vision entfesselte einen Eifer, den ich nie vorher kannte. Endlich war ICH gefragt, endlich verstand ich was Sache war, endlich warst du, FCS, MEIN Verein, für den ich kämpfe, den ich lenke in eine nachhaltige Zukunft. Verrückt eigentlich: Als alles schon im Zerfall begriffen war, flammte meine Liebe nochmal auf, wollte ich kämpfen bis zum Schluß um meine Chemie.
Aber es sollte nichts mehr bringen. Dein Krebs war schon lange nicht mehr heilbar. Als wir anfingen dagegen zu kämpfen, war dein Schicksal wohl schon entschieden. Wer warst du nun, mein FC Sachsen? Soweit ich dich kennenlernen durfte, warst du jung, laut und lebendig, du warst attraktiv, egal ob im AKS oder im ZS, vielleicht sogar zu attraktiv, denn du wecktest Begehrlichkeiten. Man schmeichelte dir von allen Seiten, um Einfluß über dich zu gewinnen. Andere wollten dich zu ihren Zwecken mißbrauchen (Kölmel zur Geldvermehrung, die Stadt zur Befriedigung von Olympiastadtträumen) und du hast vergessen, warum du eigentlich so beliebt bei allen bist, du hast deine chemische Vergangenheit vergessen, diese Einfachheit, Verrücktheit, diese Freude an deinem Leben, ob nun grad mit oder ohne Erfolg. Diese Vergangenheit hat dich jung gehalten. Aber du meintest ja modern werden zu müssen, professionell und erfolgreich und alle haben es dir eingeredet. Du bist erstaunlich lange jung geblieben, aber als das junge wilde in dir sich lautstark verabschiedet hat, brach dein Altersstarrsinn aus. Viele konnten nicht mehr nachvollziehen was du wolltest, du wurdest sichtbar alt, zogst dich in deine eigene Welt zurück und schimpftest auf Gott und die Welt. Deine Freunde waren mir total unsympathisch, die meisten alt und antriebslos, einige junge mit Glatzkopf, dummen Parolen und zu wenig Hirn und die wenigen Hoffnungsvollen machtlos gegen deine Lethargie.
Seit wann dein Krebsgeschwür schon wuchs vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht war es schon da, als ich dich kennenlernte. Daß du daran sterben würdest, war schon länger klar und natürlich wolltest du es nicht wahrhaben. Aber dein Leben in letzter Zeit war erbärmlich und es ist besser, daß du jetzt deine Ruhe hast (naja Ruhe ist relativ, etliche Grabschänder und -räuber sind ja schon in Leutzsch unterwegs). Ich kann die Zeit mit dir jedenfalls versöhnlich betrachten und ich bin dir unendlich dankbar für die vielen bitteren und unendlich geilen Momente, für Extaste und Entsetzen, für Freud und Leid. Ich werde dich nicht vergessen.
Möge dein kleiner Bruder aus deinen Fehlern lernen, dein Erbe würdig weiterführen und möge es ihm besser ergehen. Ich glaube er ist auf einem guten Weg.
Danke für die acht Jahre mit dir, danke FC Sachsen, danke Chemie!