"Erstmal generell. Wir sprechen uns alle wieder, wenn Anfang Dezember die Intensiv-Betten überlaufen und Demo-Jaqueline und Demo-Micha flennend vorm Krankenhaus stehen, weil Oma Sieglinde auf der ITS ihrem Ende entgegen röchelt. Auch eine Möglichkeit, Demut vor der Schöpfung zu lernen. Aber eben auf die ganz harte Tour. Oma Sieglinde hatte sich nämlich bei Sohnemann Micha unbemerkt angesteckt, nachdem er Donnerstag nach der Querdenker-Demo die Einkäufe für seine Mama erledigte, und ihr ganz stolz am Kaffeetisch von seiner kleinen Rebellion letzten Samstag berichtete. „War wie 89...“ Hoarhoar.
Es ist natürlich immer scheinbar leicht zu urteilen, wenn man dann die martialischen Bilder von brennenden Barrikaden und Wasserwerfern aus Connewitz, für die morgendliche Aufmachung in den Zeitungen und in den Fernsehanstalten sieht. Ja, die Linken haben auch Stress gemacht. Aber eben, weil ihr Stadtteil bereits Tage vor diesem Umzug offen bedroht wurde. Nazihools drohten offen mit einer Wiederholung von 2016, als ein Sammelsurium rechter Berufsschläger und aktive Neonazikader organisiert den alternativen Connewitzer Kiez überfielen. Ein Fanal, was jeden Überfall auf die Sachsenstube 2007, den Überfall auf den RSL in Brandis oder den Straßenbahnüberfall am Brühl 2014 in den Schatten stellte. Obwohl jedes Ereignis für sich schon ein an Brutalität kaum zu überbietendes Szenario darstellte und wohl heute noch allen damals Beteiligten in den Knochen steckt. Und gerade der Naziangriff in Brandis oder der Überfall auf Connewitz mit mehreren teils Schwerverletzten Opfern, hatten maximal nur im kleinsten Ansatz was mit Fußball zu tun. Hier kamen Nazis und Nazihools von verschiedensten, eigentlich sogar rivalisierenden Vereinen, aus ideologischen Gründen zusammen um Linke, Antifaschisten und linke Fußballfans zu bedrohen, anzugreifen und nach Möglichkeit schwerstens zu verletzen. Oder warum zieht man mit Äxten, Gaspistolen, Zaunlatten und anderen Waffen los? Warum vereinigen sich Nazihools von Lok Leipzig, Hallescher FC, RW Erfurt, Dynamo Dresden, Hansa Rostock, Chemnitzer FC, Energie Cottbus, 1.FC Magdeburg, BFC, Borussia Dortmund usw. wenn sie doch sonst abseits mancher Freundschaften oder Allianzen gerne für sich allein ihre Dinger bestreiten? „Fußball ist Fußball und Politik ist Politik?“ Am Arsch! Hier geht es nur noch darum, politische Gegner und Andersdenkende schwerstens gesundheitlich zu schädigen. Eine Demo für „Frieden – Freiheit – Demokratie“ zu kapern und in der Masse der Besorgten, Schwurbler und politisch Rechten unterzutauchen. Es den „Zecken“ oder auch wahlweise der erstarkten, antifaschistisch geprägten Chemiesultrazene mal so richtig zu zeigen. Natürlich vereint, denn alleine ist man mittlerweile ziemlich angreifbar und schon lange nicht mehr „Der Größte der Welt“. Und dann ziehen eben 500 Nazihools verschiedener Vereine samt Nazikader los. Mit dem Ziel, am Ende des Demotages Connewitz anzugreifen oder in Plagwitz alternative Wohnprojekte zu attackieren. Alles so passiert am letzten Wochenende. Wahrlich ein Hauch der Wendejahre, als regelmäßig Nazihools besetzte Häuser in der Stadt angriffen und quasi erst einen Stadtteil wie Connewitz, als Rückzugsort für alternatives Leben ermöglichten. Irgendwie klingt dies fast wie eine Ironie des Schicksals. Fest steht, der Stadtteil Connewitz, wie auch alternative Wohngruppen im Stadtteil Plagwitz, werden jetzt wieder aktiv von organisierten rechten, in Kampfsport trainierten Gruppen, auch unter dem versteckten Jubel der sogenannten bürgerlichen Mitte heraus bedroht und angegriffen. Natürlich ist die Connewitzer Szene unter Zugzwang und greift zur Hilfe als Selbsthilfe, organisiert sich und wird unter allen Umständen ihren Kiez gegen diese Horden verteidigen. So weit so schlecht. Aber eben für Menschen, die Zeit ihres Lebens um Anerkennung ihres Gesellschafts- und Lebensweges kämpfen müssen weder was Neues noch Überraschendes. Überraschend wird es, wenn der Freistaat Sachsen, das Oberverwaltungsgericht Bautzen und die Bundesrepublik Deutschland als solche, diesen braunen Schlägertrupps noch die Tür aufhalten. Statt sich mit den „Querdenker“-Problemen in der Innenstadt zu beschäftigen, schickt Sachsens Innenminister Wöller und der Leipziger Polizeipräsident Wasserwerfer, Räumpanzer und mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei gegen die, die ohnehin schon den Tag über verzweifelt ihren Stadtteil gegen Übergriffe rechter Schläger, angereist aus ganz Deutschland, verteidigen müssen. In Plagwitz mussten sich Linke in ihren Wohnprojekten verschanzen. Ja, soweit sind wir wieder in Leipzig...
Und jeder Chemiker und jede Chemikerin sollte sich bewusst sein, dass er oder sie im Rahmen dieser Querdenker-Demo sich mit Leuten gemein gemacht haben, die entweder im Rahmen brutalster Angriffe schon körperlich übergriffig auf Chemiefans wurden oder dies zumindest billigend in Kauf genommen haben. Hätten wir bei Chemie keine intelligente, wehrhafte Ultraszene und nicht die eine oder andere Sportgruppe, nennen wir diese meinetwegen auch Hooligans, man könnte wohl nicht so entspannt zu Chemie gehen wie man es heute eben kann. Eben weil die Jungs und Mädels innerhalb der Fanszene einen guten „Job“ machen."